Gedenkrede für Wieland Walter


Liebe Frau Walter, lieber Armin und liebe Carola, liebe Freunde der Familie,


wir haben uns heute hier eingefunden, um euren Wieland zu ehren und zu verabschieden. Und obwohl – du, Wieland – ja selbst kein Mann warst, der gerne große Reden gehalten hat, ist es dir hoffentlich Recht, dass es heute so lange ausschließlich um dich geht. Immerhin gibt es doch auch so viel über dich zu erzählen…


Wieland, als ich dein Haus betreten durfte, um deine Familie kennenzulernen, erblickte ich ein Porträt von dir. Auf diesem zeigst du dein ganz typisches warmes, wissendes und sehr verschmitztes Lächeln. Eines, das dich – und somit auch deine Liebsten – durch dein ganzes Leben begleitet hat.


Man entdeckt es schon auf deinen frühesten Fotos – Fotos, die still davon erzählen, in was für eine völlig andere Zeit du hineingeboren wurdest. Es war der 08. August 1934 – eine noch friedliche Zeit, und eine, da sich die Damen ihr Haar fein in eine elegante Wasserwelle legten und Mäntel mit echtem Pelzbesatz trugen. Die Herren trugen dafür zu feinen Anlässen zu ihrem Anzug einen Zylinder – und meinten das vollkommen ernst.

Die Kinderwagen – wie du selbst in einem lagst – waren aus Korb geflochten, so, wie man sie heute nur noch im Museum sieht. Die Jungen trugen kurze Hosen zu Kniestrümpfen und eine Fotografie war noch etwas ganz Besonderes, etwas, was man sich zum Geburtstag schenkte…


Wie wunderbar, dass so viele davon aus der damaligen Zeit erhalten sind. Sie zeigen neben dir natürlich auch deinen Vater Emil und deine Mutter Käthe – eine echte Mama, die dich und deinen kleinen Bruder Achim liebevoll umsorgte und auch darauf schaute, dass ihr immer gut angezogen wart, zu Essen und ein schönes Heim hattet.

Und das konnte sie auch so lange sicherstellen bis – beschönigt ausgedrückt – die Zeit begann, die dich zu einem wahren Pazifisten machte, der jede Anwendung von Gewalt zutiefst verabscheute. Ohne Euphemismus ausgedrückt muss es heißen: Die Kriegsjahre waren für dich, deine Mutter und deinen Bruder eine dramatische, prägende Zeit…

 

Zu dritt lieft ihr nachts durch die brennende Stadt, um Unterschlupf vor dem nächsten Angriff in einem anderen Haus zu suchen, da eures bereits ausbrannte. Schließlich begabt ihr euch auf die Flucht, die sehr viele Stationen beinhalten sollte und auf der ihr alle leider auch verletzt und verwundet wurdet.

Am Ende des Krieges kehrtet ihr zurück ins ausgebombte Dresden. Von eurem Heim und euren Habseligkeiten war kaum etwas übriggeblieben – nur einige wenige Gegenstände konntet ihr aus den Trümmern bergen, darunter Besteck und sogar Schmuck deiner Mutter.


Aber dennoch sollte man vielleicht nicht sagen: „Ihr hattet alles verloren.“ Was war verloren? Dinge aus Papier, aus Holz, Metall – aber ihr hattet euer Leib und Leben! Du hattest deine Mutter, deinen Bruder, dein Vater kehrte aus der Gefangenschaft heim und auch deine Tante Eleanor und dein Cousin Viktor waren unversehrt.

So war euch doch das denkbar Kostbarste geblieben, eigentlich das einzig Wichtige, euer Leben und eure Liebe zueinander. Und bedenkt man, wieviel neues Leben später von euch erschaffen werden sollte – eure Kinder und Enkel – dann gilt dies um so mehr. Denn nicht nur euer Leben wäre verloren gewesen, sondern auch das so vieler anderer. Ihr hattet großes Glück. Alle deine Kinder und Enkel, und auch die deines Bruders, so wie sie hier sitzen, haben Glück – nämlich das eine große Glück zu leben!


Euer Leben, Wieland, ordnete sich dann auch langsam neu… Ihr bekamt mit Unterstützung von entfernten Verwandten die schöne Wohnung in der Kopernikusstraße und du besuchtest wieder die Schule, die du 1949 mit dem Abschluss der achten Klasse beendetest.


Nach deiner Ausbildung zum Elektriker im Kraftwerk Mitte bekamst du sofort eine Anstellung bei der „Technischen Gebäudeausrüstung“, der du dein ganzes Berufsleben lang treu sein solltest. Einen großen Anteil daran hatte dein liebster Kollege und guter Freund Willi, mit dem du wunderbar zusammenarbeiten, aber im Laufe der Jahre auch fröhliche Urlaube verbringen konntest, wie in der Tatra, an der Ostsee oder auf der Berliner Seenplatte.


Nach etwa einem Jahr in der Firma gab es noch weitere wundervolle Veränderungen in deinem Leben… Der Beginn davon war eine Verabredung unter vier Freunden zu einer Dampferfahrt auf der Elbe mit Tanz und Konzert, allein… zwei der vier erschienen gar nicht. Wer aber kam waren zwei, die sich bis dahin noch völlig unbekannt waren, du und Romina… Langsam entwickelte sich zunächst eine Freundschaft mit gemeinsamen Radtouren und Wanderungen in der Sächsischen Schweiz.


Aber nach ein paar Monaten kam doch der Zeitpunkt, da ihr begannt euch mit anderen Augen zu sehen… Es sind diese einmaligen Momente, wo einem schon das Herz klopft, wenn der andere nur den Raum betritt; sich die zufällige Berührung zweier Hände wie elektrisierend anfühlt und der erste Kuss das Paradies verheißt.

Nein, das ist nicht zu dick aufgetragen. Es gibt da ein wunderschönes Bild von euch zweien. Es stammt aus dem Jahr 1954. Ihr beide schaut einander an – verliebt, glücklich und dankbar. Du schenkst deiner Romina einem Blick, mit dem jede Frau in ihrem Leben wenigstens nur einmal angeblickt werden sollte, einer, der sagt: „Du und niemand sonst!“


Wenige Jahre später hatte sich, wie Romina es vorsichtig ausdrückt „ein Kind angemeldet“. Geliebt habt ihr euch ohnehin, aber nicht zuletzt, weil die förmliche Besieglung dieser Liebe von euren Eltern erwartet wurde, gabt ihr euch genau zu deinem 24. Geburtstag, sprich im Jahr 1958, das Ja-Wort. Ein wirklich phänomenales Geburtstagsgeschenk! Und eines, was im Laufe der Zeit immer wieder dazu führte, dass deine Romina dir an eurem Hochzeitstag Blumen schenkte, statt andersherum.


Die Hochzeit wurde in jedem Fall romantisch, aber auch ausgelassen und fröhlich – auch ohne große finanzielle Mittel. Nach der Trauung in der Alten Kirche in Klotzsche wartete tatsächlich eine weiße Kutsche mit weißen Pferden auf euch! Wie in dem Märchen von Aschenbrödel, nur, dass deine Liebste ihren Prinzen ja bereits erobert hatte. Und dieser Prinz namens Wieland musste trotz der Hitze von 30 Grad auf Geheiß seines Vaters einen Zylinder tragen. Man wollte doch die alte Etikette nicht vergessen!


Gefeiert wurde in der Backstube deiner Schwiegereltern. Dein Onkel Erwin spielte für euch auf dem Klavier den Hochzeitsmarsch, es gab auch einen Gitarristen, die Männer schwitzten in ihre Perlonhemden und irgendwann entledigte sich auch Romina ihres feinen bestickten Kleides und tanzte im Unterkleid weiter.

Das Kind, was sich da angekündigt hatte und dem die ganze Feierei ja irgendwie gewidmet war, erblickte 1959 das Licht der Welt. Es war euer Armin, dem du von Anfang an ein liebevoller Papa warst. Das nächstschönste Geschenk, was man von seinen Eltern bekommen kann, nach ihrer Liebe und ihrer Zeit, ist mit Sicherheit ein Geschwisterchen. Und so schenktet ihr eurem Sohn noch seine Schwester Carola…


***


Manchmal, Wieland, werden Menschen von verschiedenen Familienmitgliedern auch auf unterschiedliche Weise empfunden und charakterisiert. Bei der Darstellung deiner Wesenszüge aber waren sich Romina, Arnim und Carola vollkommen einig:

Sie beschreiben dich als einen ruhigen, gewissenhaften Mann, der vielleicht nicht viele Worte sagte aber in jedem Fall immer zu ihnen stand. Auch sagen sie, dass wenn dir eine Sache sehr am Herzen lag, du sie ausnahmsweise doch mal sehr wortreich erläutern konntest – was deine große Tiefgründigkeit widerspiegelte.


Deine Gefühle, die du nicht immer auf der Zunge trugst, zeigtest du stattdessen in Liebe und Zuwendung wie durch gemeinsame Unternehmungen, am liebsten in der Natur beim Schwimmen im Waldteich oder in der Ostsee, beim Wandern durchs Gebirge oder beim Ski-Langlauf. Deine Kinder wurden in den Urlauben immer gefordert und brauchten durchaus eine gute Kondition. Aber es waren allesamt so schöne und prägende Erlebnisse, dass die zwei noch heute eine starke Verbundenheit zu dir spüren, sobald sie sich durch die Natur bewegen.


Auch hattet ihr ein damals noch eher exotisches Hobby. Das Windsurfen. Hierfür musste natürlich alles selbst herbeigeschafft und gebaut werden, auch das Segel genäht. Und wenn du so eine Sache angingst, was auch immer gemacht oder gebaut werden musste, dann gabst du, so sagt Romina 100%. Arnim korrigiert 120%, Carola berichtigt 150%.

In jedem Fall liefertest du immer Präzision, informiertest dich über jeden Handgriff genau und legtest die Messlatte in allen handwerklichen Dingen sehr hoch, natürlich auch ausgemittelt und extrem gerade, ausgerichtet mit der Wasserwaage und zweimaliger Kontrolle.


Dein wichtigstes Projekt, so meinen deine Lieben, war es dein Zuhause zu gestalten und für euch alle komfortabler zu machen. So bautest du, immer mit Unterstützung deiner Romina, etwa eine Terrasse, ein Gerüst für deine Weinpflanzen, einen Zaun, eine Hollywoodschaukel, eine Schaukel für die Kinder; zuletzt sogar eine Sauna.

Was neben den tatsächlichen Gegenständen bleibt, ist das Gefühl, was in deinen Liebsten entsteht, wenn sie sie betrachten: Die Erinnerung an deine Vorbildhaftigkeit und daran, wie du mit Liebe, Mühe und Ausdauer zu Werke gegangen bist. Du hattest eine fundierte Ausbildung als Elektriker, aber du meistertest auch Tischler-, Steinmetz- oder Maurerarbeiten mit Bravour.


Das ganze konntest du auch in Miniatur, wie du bei beim Bau von Puppenbettchen, der Elektrifizierung der Puppenstube oder dem Aufbau der Modelleisenbahn unter Beweis stelltest.

Das sich genaue Aneignen von Wissen übertrugst du übrigens auch vom Handwerklichen auf das Sportliche. Deine Liebsten sagen: „Er musste alles immer erst vom Verstand her erfassen und es dann tun.“ Wie genau funktioniert Surfen theoretisch? Was macht beim Abfahrtslauf der Berg- und was der Talski?


Dein vieles – zu großen Teilen selbst angelesenes – Wissen gabst du auch gerne an deine Kinder weiter: Du machtest mit ihnen Hausaufgaben aber wiest sie auch in handwerkliche Dinge ein. Heute sagen sie, dass dies ein wichtiger Grundstein für ihr späteres Leben war.


Weit größer, als jedes Wissen je sein kann, ist wohl das Denken selbst. Und in dieser Hinsicht warst du mit deiner lieben Romina vollends im Gleichklang. So sagt sie heute: „Was der eine dachte, hat auch der andere gedacht. Wir hatten so viele Gemeinsamkeiten, wir hätten Zwillinge sein können.“ Auch sagt sie, alles wurde gemeinsam gemacht und entschieden. Und wie es so klingt, ging das alles sehr harmonisch vonstatten.


All das, was dich auszeichnete, Wieland – deine Aufrichtigkeit, deine Abenteuerlust, deinen Fleiß und deine Güte, durften auch viele andere Menschen kennen- und schätzen lernen. Deine Schwiegerkinder Sabrina und Holger, die du herzlich in eurer Familie begrüßtest und nach und nach natürlich auch deine Enkel: Carmen und Sandra, sowie Marco, Ben, Kai und Dennis.


Die Fotos von dir und den Kleinen sprechen Bände – sie zeigen deinen liebevollen Umgang mit ihnen. Als noch kleine Bündel schliefen sie auf deinem Arm, etwas älter dann wurde es aktiver mit gemeinsamem Camping, Wanderungen, Besuchen von Kletterparks, Radtouren und Skiabfahrtslauf.


Zu letzterem hatte dich Holgers Papa Heinz inspiriert. Für dich war er nicht nur ein neues Mitglied deiner Familie, sondern ein echter Freund. Mit ihm, Tilda und natürlich Romina verbinden dich auch schöne Reisen wie über die Hochalpen-Straße, zur Franz-Joseph-Höhe und nach Heiligenblut.


Das Weitergeben von Wissen setzte sich auch bei deinen Enkeln fort: Du gabst ihnen Tipps in elektrischen Dingen, zeigtest ihnen, wie man korrekt Ski wachst oder ein Fahrrad repariert.


Auch deine Urenkel Bennett, Claire und Franz durftest du alle kennenlernen. Und nicht zu vergessen, hattest du auch zu deiner Familie aus Holland, zu Kathrin, Gabriel, Thijs und Annik eine gute und freundschaftliche Verbindung!

So sehr du deine große Familie schätztest und liebtest, alleine mit deiner lieben Romina wurde es dir auch kein bisschen langweilig. Gemeinsam erkundetet ihr unzählige Länder: Österreich, Norwegen, Montenegro, England, Frankreich und sogar China. Eine Schiffsreise brachte euch von Moskau nach St. Petersburg und in Holland durftest du auf den Grachten höchstselbst der Kapitän sein.


Eure letzte Reise führte euch nach Kroatien, wo du Romina noch einmal einen neuen Ring schenktest, einer, der bewies, dass du sie liebtest, dass zwischen euch beiden alles so wunderbar war, wie es immer gewesen war.


Zurück zu Hause aber bekamt ihr die Nachricht, dass leider überhaupt nichts mehr war, wie es immer war… Und dabei hattest du nichts falsch gemacht. Bis zuletzt hattest du dich körperlich fit gehalten mit deiner morgendlichen Gymnastik, mit Kraft- und Gleichgewichtstraining. Dazu noch hattest du dir im hohen Alter noch einen neuen Sport auserkoren – das Mountainbiken, wofür eine hochwertige Ausrüstung angeschafft wurde, inklusive passender Sportunterwäsche, damit du immer exakt richtig gekleidet und wohl temperiert warst. Du warst und bliebt eben immer ein liebenswerter Perfektionist.


Und weil du ein Perfektionist warst, lieber Wieland, habe ich das Gefühl, dass ich nichts auslassen darf, was mir deine Liebsten über dich erzählt haben, auch wenn das so viel mehr ist, als bis jetzt gesagt wurde… Denn sie sprachen auch über das gemeinsame Christbaumschmücken, bei dem englische Weihnachtslieder liefen, sie erzählten von Saunatagen und Skatabenden mit deinen Freunden, von deinem Tauchen und Fische fangen in der Ostsee und berichteten von wunderbaren Reisen zu viert mit Carola und Holger nach Italien, Kroatien und Dänemark.


Am Ende, Wieland, warst du aber nicht nur ein Perfektionist, sondern vor allem ein Optimist. Ein Kämpfer, voller Hoffnung, denn du wolltest unbedingt leben. Ein Trost ist, bis ganz zum Schluss hast du gelebt und geliebt. Zu Hause, bei deiner lieben Frau durftest du schließlich einschlafen.


Und ich bin sicher, könntest du deinen Liebsten noch einen Rat mitgeben, dann wäre es bestimmt nicht, jede Handlung akkurat zu vollziehen. Denn es gab in Wahrheit doch etwas anderes, was noch tiefer in deiner Seele verwurzelt war.

Du würdest ihnen raten dankbar zu sein. Für die Menschen, die sie umgeben – die Familie, die liebsten Freunde und dafür, dass sie gemeinsam unbehelligt in Frieden leben können. Du würdest sagen: „Wenn ihr nur einander habt, aufeinander achtet und zusammenhaltet, dann habt ihr alles, was ihr braucht.“


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